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„Betroffenen“-Selbsthilfe … „Patienten“-Selbsthilfe

Von Johannes Peter Wolters (Bundesverband der Selbsthilfe Soziale Phobie [VSSP] e.V.)

"Selbsthilfegruppen sind mehr als Patientenzusammenschlüsse."

Seit nunmehr zehn Jahren ist die beratende Beteiligung von Organisationen der Selbsthilfe – wie der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. und anderen – an Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens auf Bundes- und Länderebene vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen. Dies gilt als sinnvolles Instrument der Verbesserung des Gesundheitswesens.

In diesem Zusammenhang ist in den vergangenen Jahren aus meiner Sicht zu beobachten, dass der Begriff der Selbsthilfe in der Öffentlichkeit näher an den des Patienten gerückt ist. Dies kann auch in dem Logo „Patient und Selbsthilfe“ zum Ausdruck kommen, mit dem die aktuell erschienene NAKOS-Broschüre „Grundlagen der Patientenbeteiligung“ versehen ist.

Diese Form der Kommunikation zur Vertretung der Patienteninteressen im Gesundheitswesen könnte mittelfristig eine Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung der Selbsthilfe mit sich führen. Daher möchte ich mich, in Abgrenzung zum Begriff des „Patienten“, für die weitere, vorrangige Verwendung des in der Selbsthilfe bewährten und weiter gefassten Begriffs des „Betroffenen“ einsetzen.

Laut Duden ist ein Patient eine „von einem Arzt, einer Ärztin oder einem Angehörigen anderer Heilberufe behandelte oder betreute Person (aus der Sicht dessen, der sie [ärztlich] behandelt oder betreut oder dessen, der diese Perspektive einnimmt) …“.

Die Rolle des Patienten ist also nicht unabhängig denkbar, sondern beschreibt eine definierte Position und Funktion innerhalb des Gesundheitssystems und wird zum Beispiel Ärztinnen und Ärzten sowie Dienstleistern wie Krankenhäusern und Krankenkassen gegenübergestellt.

Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass sich Menschen, die von einem bestimmten gesundheitlichen Problem betroffen sind, zusammentun, um ihre Herausforderungen gemeinsam anzugehen und sich darin gegenseitig zu unterstützen – generell unabhängig von ihrer Rolle als Patientin oder Patient.

Der „GKV-Leitfaden zur Selbsthilfeförderung“ bezieht sich inhaltlich auf den Teilbereich der Selbsthilfe, der die Bewältigung einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung zum Anliegen hat. Die hieran beteiligten Menschen werden durchgehend als „Betroffene“ und nicht als „Patienten“ bezeichnet.

Der Begriff „Betroffener“ beschreibt einen Menschen in seiner persönlichen, individuellen Beziehung und Auseinandersetzung mit einer (hier gesundheitlichen) Herausforderung. Betroffensein von einer Erkrankung, Behinderung oder einer Lebenssituation ist daher nicht gleichzusetzen mit einem Patientenstatus. Die persönliche Auseinandersetzung kann deutlich größere Bereiche miteinbeziehen als die Angebote und Leistungen, die von einem Gesundheitssystem erbracht werden können. Der Begriff „Betroffener“ ist in meinen Augen ganzheitlich, in jedem Falle ganzheitlicher als der des „Patienten“. Er bezieht sich unmittelbar auf den Menschen und ist unabhängig von einer Einbeziehung in das Gesundheitssystem. Die von vielen Seiten ausdrücklich gewünschte und geradezu geforderte „Autonomie der Selbsthilfe“ ist nicht nur eine materielle, sondern auch eine ideelle. Diesem Aspekt entspricht meiner Ansicht nach der Begriff des „Betroffenen“ gut.

Je nach Kontext und Thema hat die Verwendung der Begriffe „Patient“ und „Betroffener“ selbstverständlich ihre uneingeschränkte Berechtigung. Dennoch könnte es durch eine häufige und starke Assoziation der Begriffe „Selbsthilfe“ und „Patient“ in der Außendarstellung zu einer, wenn auch nicht beabsichtigten, Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung der Selbsthilfe kommen: von einer Betroffenen- Selbsthilfe zu einer weitergehenden Einengung auf eine Patienten- Selbsthilfe. Wenn aber Selbsthilfekontaktstellen von der Bevölkerung in Zukunft als Patientenberatungsstellen und Selbsthilfegruppen als Patientenzusammenschlüsse auf regionaler Ebene angesehen werden, würde ich dies grundsätzlich als einen Verlust der Vielseitigkeit des Selbsthilfeansatzes dem Menschen gegenüber ansehen.

Daher plädiere ich in Bezug auf Selbsthilfe für eine abgewogene Verwendung des Begriffes „Patient“ und weiterhin für die vorzugsweise Propagierung einer Betroffenen-Selbsthilfe.

Johannes Peter Wolters
Bundesverband der Selbsthilfe Soziale Phobie (VSSP) e.V., Geschäftsstelle, Pyrmonter Straße 21, 37671 Höxter
Tel: 052 71 / 699 90 56
E-Mail: info@vssp.de
Internet: www.vssp.de 

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