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Vertretungen von Interessen der Patient/innen und der Selbsthilfe – ein Erfahrungsbericht mit dem G-BA

Von Enzia Selka (Vulvakarzinom-SHG e.V.)

"Für kleine Selbsthilfevereinigungen ist es faktisch unmöglich, die Antragshürde zu nehmen."

Unserem Bericht über unsere Erfahrungen mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) möchten wir einige grundsätzliche Überlegungen zur Vertretung von Patienteninteressen in der medizinischen Versorgung beziehungsweise in Gremien, die in diesem Bereich Entscheidungen treffen, voranstellen.

Der Blickwinkel von Entscheidungsgremien wie dem G-BA und von Patient/innen auf die medizinische Versorgung ist unterschiedlich. Der G-BA trifft Schlussfolgerungen und Entscheidungen auf der Basis der Sammlung, Analyse und Verknüpfung von Daten, um innerhalb eines vom Gesetzgeber definierten Rahmens festzulegen, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden.

Ziel ist eine evidenzbasierte Medizin (EbM), das heißt eine auf Beweise gestützte Heilkunde. Für Patient/innen stehen dagegen insbesondere ihre körperliche, seelische und soziale Lebensqualität sowie die Nebenwirkungen der Therapie im Mittelpunkt. Beide Blickwinkel können eine große gemeinsame Schnittmenge haben, sie können aber auch in der Bewertung einer Therapie stark voneinander abweichen. Beruht ein Gesundheitsprogramm lediglich auf einer positiven Bewertung der klinischen Wirksamkeit, so besteht die Gefahr, dass es an der Akzeptanz der Patient/innen scheitert, weil beispielsweise der Anstieg der Lebenserwartung mit Einbußen in der Lebensqualität verbunden ist, die von Patient/innen ganz überwiegend abgelehnt werden. Im Ergebnis steht dann den Kosten des Gesundheitsprogramms ein geringer Nutzen für die Patient/innen gegenüber. Gleichwohl spielt die Erfassung und Dokumentation der Ansicht der Betroffenen mit Blick auf die Organisation und Arbeitsweise des G-BA momentan eine eher untergeordnete Rolle.

Patient/innen mit einer seltenen Erkrankung treffen aber auf noch weitere Hindernisse, wenn sie versuchen, den G-BA zu motivieren, sich ihrer häufig dringend verbesserungsbedürftigen medizinischen Versorgung anzunehmen. Zum einen stehen bei ihnen – bedingt durch die niedrigen Fallzahlen – wenig Daten zur Verfügung, die den Anforderungen einer auf Studien oder anderen Nachweisen beruhenden Medizin genügen. Zum anderen haben die (spezialisierten) Selbsthilfevereine dieser Patient/innen typischerweise nur geringe personelle Ressourcen, mit denen sie Antragsanforderungen bewältigen sollen, die es ihnen faktisch unmöglich machen, die „Antragshürde“ zu nehmen. Leider haben sie nämlich den antragsberechtigten Organisationen dermaßen viele Informationen zu liefern, dass das neben der eigentlichen Selbsthilfearbeit kaum zu leisten ist. Es reicht also nicht aus, die Fakten der schlechten Versorgungslage zu nennen und auf ihren Erfahrungen beruhende Lösungsvorschläge zu unterbreiten, sondern sie werden zum Beispiel aufgefordert, Studien im Zusammenhang mit ihrer seltenen Erkrankung zu präsentieren. Eine Forderung, die im Hinblick auf die personelle und finanzielle Ausstattung des G-BA doch etwas verwundert. Abgesehen davon hat der G-BA durchaus die Möglichkeit, bei erkannten Versorgungsproblemen eigeninitiativ tätig zu werden. Darüber hinaus hat er wichtige Aufgaben im Bereich des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung, woran es sicherlich bei etlichen seltenen Erkrankungen mangelt. Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Kompetenzen hat sich unser Selbsthilfeverein trotz geringer Erfolgsaussichten an den G-BA gewandt und in Anbetracht unserer schlechten Versorgungslage, die für viele Frauen medizinisch nicht gebotene Genitalverstümmelungen bis hin zum Genitalverlust bedeutet, um ein Tätigwerden gebeten.

Erfahrungen mit dem G-BA
In unserem Schreiben an den G-BA vom Mai dieses Jahres haben wir die Missstände geschildert und angeregt, eine positive Empfehlung über den therapeutischen Nutzen bestimmter, von uns detailliert aufgeführter Methoden abzugeben und dafür Sorge zu tragen, dass diese Methoden als Standardtherapie ausgewiesen werden. Des Weiteren haben wir angeregt, eine Empfehlung über die notwendige Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte zu beschließen, die Patientinnen mit einem Vulvakarzinom oder einer Präkanzerose behandeln, und Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung festzulegen.

Im Ergebnis sind wir dann mit einem paragraphenstrotzenden Schreiben Mitte Juli 2014 aus formalen Gründen abgewiesen worden. Wir sind an die antragsberechtigten Organisationen verwiesen worden und an die Stabsstelle Patientenbeteiligung des G-BA. Mit der Stabsstelle haben wir uns in Verbindung gesetzt, ohne dass sich inhaltlich etwas unser Anliegen Voranbringendes ergeben hat. Wir wurden dort von der Option in Kenntnis gesetzt, dass Hersteller nach § 137 e VII SGB V für die momentan nicht vergütete Laservaporisation (einer schonenden Therapie der VIN/Vorstufe, bei der das Erscheinungsbild der Vulva üblicherweise unverändert bleibt) eine Erprobungsrichtlinie beantragen können. Leider ist das mit großen Kosten für den Hersteller verbunden, so dass es wohl für Therapien seltener Erkrankungen realistischer weise nicht in Betracht kommen dürfte. Dann wurden wir noch darauf hingewiesen, dass eine Beratung zur Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) bei schweren Verlaufsformen gynäkologischer Tumore anstände und man dort eventuell das Vulvakarzinom aufnehmen könnte. Wir haben resignierend davon Abstand genommen, uns mit der Ansprechpartnerin hierfür in Verbindung zu setzen, denn unser Anliegen ist, diese Verlaufsformen zu verhindern.

Fazit
Wir können nur das Fazit ziehen, dass der G-BA kein Interesse daran hat, sich mit unserer schlechten, wenn nicht sogar desaströsen Versorgungslage auseinanderzusetzen. Hier werden Formalien zu Hürden, die es der Interessenvertretung von Menschen mit einer seltenen Erkrankung faktisch unmöglich machen, dass sich ein wichtiges Entscheidungsgremium im Gesundheitssystem ihrem Anliegen annimmt. Angesichts der geringen Fallzahlen und der Komplexität der Ursachen für die schlechte Versorgungslage vieler seltenen Erkrankungen dürfte auch nicht damit zu rechnen sein, dass der G-BA eigeninitiativ tätig wird, um unsere Versorgungslage zu verbessern. Dabei wäre ein entsprechender Auftrag durchaus den gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen.

Hilfreich wäre für uns als PatientInnenvertretung in Anbetracht unserer geringen personellen Ressourcen eine Stabstelle, die qualifizierte Anregungen aufgreift und durch eigene Recherchen zu einem Antrag verdichtet und diesen dann durch das Verfahren begleitet. Außerdem wäre es aus unserer Sicht zielorientiert, wenn in Entscheidungsverfahren, die seltene Erkrankungen zum Gegenstand haben, neben den SprecherInnen der Patientenvertretung in den G-BA Unterausschüssen die Fachkompetenz der Interessenvertretungen der betroffenen PatientInnen einbezogen werden würde. Im Übrigen ist eine Verfahrensdauer für die Methodenbewertung von bis zu acht Jahren, die uns von der Stabstelle Patientenbeteiligung benannt worden ist, in Anbetracht der Schnelligkeit, mit der sich neue medizinische Erkenntnisse ergeben können, nicht akzeptabel.

Enzia Selka, 1. Vorsitzende für das Projektteam
VulvaKarzinom-SHG e.V., Kniprodestraße 94, 26388 Wilhelmshaven
E-Mail: info@VulvaKarzinom-SHG.de
Internet: http://VulvaKarzinom-SHG.de

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